Infobrief Nr. 7 Dezember 2018

Informationsbrief Nr. 7
Dezember 2018

Liebe Freunde von Hêlîna Sêwîya,

Mitte Oktober besuchten Irfan Ortac und Benno Nothardt unsere Waisenhäuser in Schechan. Sie konnten auch den Distrikt Shingal nahe der syrischen Grenze besuchen, in dem die Mütter und Kinder vor ihrer Vertreibung lebten.

  

Hêlîna Sêwîya

wohnten eine Woche lang in den drei nahe beieinandergelegenen Waisenhäusern und hatten viel Zeit, die gute Arbeit hier mitzuerleben. Die sechs Mütter bieten den 40 Kindern Geborgenheit in einer sicheren und liebevollen Umgebung, Hier können sie zusammen nach den schrecklichen Erfahrungen während des Genozids durch den IS ein neues Leben führen.

Wieviel die pädagogischen Mitarbeiterinnen leisten, damit die Kinder nicht nur ihre Traumata bewältigen, sondern auch mit guter Schulbildung in die Zukunft gehen können, lesen Sie beispielhaft in dem Interview mit Zozan Haseeb. Hingegen ist es uns leider noch nicht gelungen, eine Kinderpsychologin für Mona und einen Logopäden für Fawaz zu finden (siehe Infobrief Nr. 6 vom August 2018).

Wir sind auch weiterhin dringend auf Spenden angewiesen, um eine langfristige Finanzierung des Projektes zu sichern.

Wir sind auch weiterhin dringend auf Spenden angewiesen, um eine langfristige Finanzierung des Projektes zu sichern. -> Hêlîna Sêwîya unterstützen

 

***

22.10.2018: Der Sender Kurdistan24 zu Besuch in Hêlîna Sêwîya…

 
► Mhede, 15 Jahre
Wir lebten in Lagern. Dort haben uns unsere Onkel und Schwestern zwar unterstützt, aber es war nicht so wie jetzt in diesem Haus.

 
► Basima, 15 Jahre
Mir wird das Gefühl gegeben, dass ich einen Vater habe, auch wenn mein Vater nicht mehr lebt.

 

***

Interview: Zozan Haseeb

  

Ich bin pädagogische Mitarbeitern in diesem Waisenhaus. Die Kinder, die hier leben, wurden mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert, als der IS kam und ihre Dörfer angegriffen hat. Deshalb müssen wir ihnen helfen, damit ihre Psyche ausgeglichen und stabil wird. Wir nutzen Spiele zum Gedächtnistraining oder Intelligenzspiele, die Spaß machen.

Und nachdem jetzt die Schule nach dem Ende der Schulferien wieder begonnen hat, unterstützen wir die Kinder beim Lernen. So helfe ich ihnen jeden Tag, wenn sie Hausaufgaben aufhaben, wie es eine Mutter tun würde.

Gehört das psychologische Training auch zu Deiner Arbeit oder bist Du nur Englischlehrerin?
Ich bin Englischlehrerin, aber ich habe einen Kurs über Psychologie und Gewalt besucht und ein Zertifikat erhalten.

Wenn ich die Kinder sehe, bemerke ich, dass sie es richtiggehend lieben, Englisch zu lernen. Wie erreichst Du das?

Weißt Du was ich mache? Ich sage ihnen, dass ihre Zukunft besser wird, wenn sie versuchen Englisch zu lernen. Und wenn du erwachsen bist und dich für eine Stelle bewirbst, wirst du gefragt werden, ob du Englisch sprichst … Und wenn du in ein anderes Land kommst und kein Englisch sprichst, wie willst du dann mit den Menschen dort kommunizieren?

Wie hast du selbst so gut Englisch gelernt? Hast Du studiert?

Nach der Highschool habe ich mich bei einer englischen Hochschule beworben. Dort habe ich vier Jahre studiert und meinen Abschluss mit einem guten Durchschnitt von 74 Punkten abgeschlossen.

Wie alt bist Du eigentlich?

Ich bin 21 Jahre alt.

Und was gefällt Dir am meisten an Hêlîna Sêwîya?

Ich habe mich für diese Stelle beworben, weil ich fühlte, dass ich mit Kindern arbeiten will. Ich will Kinder um mich haben und ich will Kindern helfen. Und ich kann nachempfinden, was in ihrem Inneren vorgeht.

Ich will erreichen, dass die Kinder die Erlebnisse ihrer Vergangenheit hinter sich lassen, die sie traurig machen. Ich will, dass sie sich auf das Jetzt und auf ihre Zukunft konzentrieren.
Immer wenn ich Unterricht halte, sage ich den Kindern, sie sollen versuchen, so entspannt wie die Engländer oder allgemein wie die Ausländer zu sein. Ich meine natürlich nicht in allem. Ich denke aber, dass die Kinder sich etwas von dieser Einstellung aneignen sollten.

Und hast Du Pläne für Deine Zukunft?

Natürlich habe ich die. Ich will mich für ein Masterstudium in Deutschland bewerben. Und wenn ich damit abgeschlossen habe, werde ich hierher zurückkommen und als Englischlehrerin weiterarbeiten.

Vielen Dank für das Gespräch!

-> Das ungekürzte Interview: www.helinasewiya.de/haseeb

 

***

Lage der Eziden in Shingal

Neben der Region um Schechan, ist die Region Shingal das zweite große traditionelle Siedlungsgebiet der Ezidinnen und Eziden. Es erstreckt sich nördlich und südlich des 60 km langen Shingal-Gebirges. Hier beging der IS 2014/15 einen Genozid, durch den auch die Frauen und Kinder von Hêlîna Sêwîya einen Teil ihrer Familien verloren und teilweise selbst versklavt wurden.

  

Anders als Schechan liegt Shingal nicht in der halbwegs stabilen kurdischen Autonomieregion Nordkurdistan, sondern untersteht der irakischen Zentralregierung. Die 150 km weite Fahrt nach Westen durch das erst 2017 befreite Mossul und Til Afer war bisher zu unsicher, sodass wir die Region erst jetzt besuchen konnten.

 

Zerstörtes Haus in Shingal Stadt

Es wäre schön, wenn Hêlîna Sêwîya zurück nach Shingal ziehen könnte, aber leider ist die Lage dort ziemlich traurig. Zwar sind mittlerweile über 40 000 Eziden in ihre alte Heimat zurückgekehrt, aber wir konnten sehen, dass viele von ihnen in tristen Zeltlagern leben, keinen Zugang zu Krankenhäusern haben und teils nicht einmal fließendes Wasser verfügen.


Zeltlager nahe Kerse

Die deutsche Regierung investiert viel Geld in den Wiederaufbau des Iraks und für Ezidinnen war die humanitäre Hilfe in der Zeit der Befreiung wichtig. Jetzt scheint von der deutschen Entwicklungshilfe jedoch kaum noch etwas bei ihnen anzukommen. Hingegen wurde uns berichtet, dass in der Region insbesondere sunnitische Ortschaften wiederaufgebaut und dort Menschen angesiedelt würden. Zwar gab es auch Sunniten, die Eziden geholfen haben, aber viele der heutigen Rückkehrer haben auch mit dem IS sympathisiert oder sogar selbst ezidische Mädchen und Frauen missbraucht oder deren Häuser geplündert. Deshalb ist es verantwortungslos, dass über einen Gerechtigkeitsprozess noch nicht einmal nachgedacht wird. Stattdessen haben sogar bekannte IS-Emire teilweise wieder Macht an sich reißen können. Unter diesen Umständen haben Ezidinnen keine Perspektiven, im Irak zu leben.

 

-> Diesen Infobrief als PDF
-> Hêlîna Sêwîya unterstützen